Endodontie
Anleitung für die Praxis
14.10.2009
Dr. Wolfgang Innmann
Die Notwendigkeit und die Vorteile einer Anwendung von Kofferdam in der konservierenden Zahnheilkunde sind unbestritten und neue Materialien erfordern für ihre korrekte Verarbeitung eine absolute Trockenlegung des Arbeitsgebietes. Dennoch führt der Kofferdam in der Praxis eher ein Schattendasein, da in der Fachliteratur kein allgemeingültige Publikation im Sinne einer Arbeitsanleitung existiert und viele Zahnärzte mit dem Anlegen von Kofferdam eine mühsame, misserfolgreiche und letztendlich frustrierende Prozedur verbinden. Die von Dr. Johannes Müller und Dr. Norman Tischer entwickelte Kofferdamtechnik stellt dieser Frustration ein schlüssiges und erfolgserprobtes Konzept zur Anwendung von Kofferdam entgegen, welches nachfolgend beschrieben und auf CD mit dem Titel „Kofferdam in 100 Sekunden“ im Handel erhältlich ist.
Kofferdam ist seit über 140 Jahren in der Zahnheilkunde bekannt1,7,11. Seine Anwendung stellt in der konservierenden Zahnheilkunde seit Jahrzehnten für Zahnmedizinstudenten beim Legen von Kompositfüllungen oder bei der Durchführung von Wurzelbehandlungen eine Conditio sine qua non dar. Umständliche Methoden und unbefriedigende Erfahrungen während der Ausbildungszeit veranlassen jedoch sicherlich die Mehrheit der Zahnärzte, diesen „Ballast“ als erste Universitätslehrmeinung über Bord zu werfen10, obwohl ihn gerade neue Behandlungstechniken, wie zum Beispiel Schmelz-Dentin- adhäsive Restaurationen oder auch zunehmend maschinell durchgeführte endodontologische Maßnahmen für eine Lege-artis-Behandlung erforderlich machen.
Kofferdam – eine ungeheure Zeitersparnis
Aus unserem Studium wissen wir, wie viel Nerven und Zeit das Anlegen von Kofferdam kosten kann. Wenn Kofferdam jedoch effizient angelegt wird, bedeutet seine Verwendung sogar eine Zeitersparnis, wie bei einer näheren Betrachtung des Behandlungsablaufs deutlich wird. Es entfallen das Abhalten von Zunge, Wange und Lippen, das Wechseln von Watterollen, die Stillung von Gingivalblutungen, unerwünschte Konversationen, Unterbrechungen durch Mundspülungen und das Arbeiten wird beschleunigt durch den großzügigen Zugang, die hervorragende Übersicht und die ausgezeichnete Ausleuchtung2,4,9,13. Weitere Vorteile sind ein entspanntes Arbeiten, eine höhere Präzision der Arbeit, ein besserer Infektionsschutz sowohl für das Personal als auch den Patienten. Den Beweis, dass Kofferdam über zehn und mehr Zähne innerhalb von zwei Minuten angelegt werden kann, liefern die Autoren in ihrem unter www.rubberdam-in-seconds.com zum Download verfügbaren Video. Allerdings sind für ein erfolgreiches Arbeiten einige Grundvoraussetzungen – von den Materialien bis hin zur geschulten Assistenz – unabdingbar.
Grundprinzipien des neuen Kofferdamkonzepts
Bei der Kofferdamtechnik nach Müller und Tischer erfolgt das Anlegen der Folie stets vom Molarenbereich der einen Seite bis zum Prämolarenbereich der Gegenseite, da so ein erweiterter Zugang zum Arbeitsgebiet und ein sicherer und atraumatischer Sitz der Halteklammern im Molarenbereich erreicht werden können. Ein weiterer Vorteil ist die ökonomische Anwendung, da für mehr als 95 Prozent der Fälle nur zwei – modifizierte – Klammertypen ausreichen (Hager & Werken 201, Hygienic 12A/13A) (Abb. 1).
Modifikation der Klammern
Die Klammern werden durch Abtrennen der Flügelfortsätze so verändert, dass die Folie ohne zu große Spannung darübergezogen werden kann. Eine längsovale Erweiterung der Löcher erleichtert das spätere Abnehmen mit der Klammerzange. Zur Vermeidung von Lichtreflexionen werden die Klammern im Sandstrahlgerät mattiert (Abb. 2). Alternativ zur eigenen Modifizierung können die Klammern – neben den anderen beschriebenen Materialien – in bereits modifizierter Form im Handel (American Dental Systems, Vaterstetten) bezogen werden.
Vorgestempelte und vorgelochte Folien
Für einen zeitsparenden Arbeitsablauf in der Praxis ist es wichtig, dass bereits im Vorfeld Kofferdamfolien in ausreichender Anzahl mit dem Stempel nach Müller und Tischer markiert und jeweils vom ersten rechten bis zum ersten linken Prämolaren für Ober- und Unterkiefer vorgelocht werden. Ein dritter Stapel bleibt nach dem Stempeln für besondere anatomische Situationen ungelocht (Abb. 3–5). Der im Vergleich zu einer Schablone zeitsparende Stempel ist so konzipiert, dass bei bündigem Anlegen am Oberrand der Folie ein konstanter Abstand von 2,5 cm besteht, der eine Kollision der Folie mit dem Naseneingang verhindert. Darüber hinaus besitzt er gegenüber anderen Stempeln oder Schablonen einen entscheidenden Vorteil: Im Seitenzahnbereich sind die Lochabstände weiter als bei anderen Produkten, deren zu enge Abstände häufig zu Dehiszenzen mit einer unvollständigen Überdeckung der Papille führen. Der Kofferdam soll ein hohes Elastizitätsmodul besitzen, damit die Zähne eng umschlossen werden und vor allem die Folie leicht durch die Approximalkontakte hindurchzuführen ist, d. h., er soll sich nicht schon bei geringer Zugkraft kaugummiartig auseinanderziehen. Der Verfasser verwendet das Produkt Dental Dam x-heavy (Hygienic®). Zur besseren Orientierung beim Anlegen werden auf der Folie mit Kugelschreiber die Mittellinie und beidseits die Markierungen zwischen 3 und 4 nachgezogen sowie die linke obere Ecke durch ein Kreuz gekennzeichnet, um ein Verdrehen der Folie zu vermeiden.
Vorbereiten der Folie
Auf der jeweiligen Arbeitsseite werden auf der bereits vorgelochten Folie zwei bis drei weitere Löcher ergänzt (Abb. 6), wobei das Loch, das über die Klammer gezogen wird, einen Durchmesser von mindestens 2,6 Millimetern aufweisen sollte, um nicht einzureißen. Weist eine vorhandene Lochzange nur kleinere Durchmesser auf, kann alternativ die Doppellochtechnik angewendet werden, bei der das Klammerloch mit dem größten auf dem Lochteller vorhandenen Durchmesser gestanzt wird und überlappend ein weiteres Loch zur ovalen Erweiterung der Perforation gesetzt wird (Abb. 7, linke Seite). Dabei besteht jedoch das Risiko einer zu weit versetzten Doppellochung in Form einer Acht, die zu einer späteren Undichtigkeit der Folie am Klammerzahn führt (Abb. 7, rechte Seite). Vor dem Anlegen wird die Folienunterseite mit einem Gleitmittel beschickt, wobei Rasiercreme bis dato durch nichts übertroffen wird (Abb. 8). Gleitmittel aus der Urologie, Vaseline o. ä. sind weniger geeignet, zumal Rasiercreme auch aus lebensmittelchemischer Sicht unbedenklich ist. In der Praxiskonversation empfiehlt es sich allerdings, in Anwesenheit des Patienten, lediglich das Wort „Gleitmittel“ zu gebrauchen.
Anbringen der Folie Die Folie wird über die am ersten oder zweiten Molaren angebrachte Klammer und anschließend gleich über die Frontzähne gezogen, während der Seitenzahnbereich zunächst unberücksichtigt bleibt. Unmittelbar danach werden unter Assistenz sofort die Papieroder Frotteeserviette mit dem Armreifgriff und der Kofferdamrahmen angebracht. Erst nach Anlegen des Rahmens werden nun die restlichen Stege mithilfe der Drei-Hand- Technik unter Spannung der Kofferdamfolie durch die Assistenz mit dem freien Zeigerfinger der einen sowie dem freien Mittelfinger der anderen Hand des Behandlers durch die restlichen Interdentalräume befördert. Bei besonders schwergängigen Kontaktpunkten werden die Stege mit Zahnseide unter Anwendung der Schlaufentechnik in die Approximalräume eingebracht, wobei die Zahnseide zweimal, jeweils vom Rande des Steges ausgehend, in den Zahnzwischenraum eingeführt wird (Abb. 9–13).
Zervikales Einrollen des Kofferdams
Nach dem vollständigen Durchführen der Stege stülpt der Behandler mithilfe einer stumpfen und nicht federnden Sonde die Folie in Sulkusrichtung ein, wodurch die Papille apikalwärts verdrängt und die klinische Krone des Zahnes in ihrer gesamten Länge deutlicher exponiert wird10,11; unterdessen achtet die Assistenz auf einen gleichmäßigen Luftstrom zum Trocknen des Zahnes. Beim Einrollen des Kofferdams werden häufig zuvor nicht sichtbare Konkremente freigelegt (Abb. 14 u. 15).
Spezielle Kofferdamanwendungen
Professionelle Zahnreinigung unter Kofferdam
Durch die o. g. apikalwärtige Verdrängung der Interdentalpapillen können ursprünglich subgingival gelegene und klinisch nicht sichtbare Konkremente freigelegt und bei Taschensondierungstiefen bis maximal 5 Millimeter unter Sicht blutungsfrei entfernt werden. Ist eine noch weiter gehende Exposition der Wurzeloberflächen notwendig, steht dafür ein Set mit 6 zusätzlichen Retraktionsklammern nach Brinker (Hygenic®; Versand s. o.) zur Verfügung. Beim Einsatz von Pulverstrahlgeräten schützt der Kofferdam zudem die Gingiva vor Irritationen (Abb. 16–18). Die Durchführung erfolgt quartalsweise im Wechsel in je einer Kieferhälfte unter Kofferdam und in den anderen Quadranten herkömmlich.
Kofferdam in der Kinderzahnheilkunde
Bei Milchmolaren wird der Kofferdam lediglich am zu behandelnden Zahn unter Verwendung der Klammern W14, 208 oder einer modifizierten Klammer 207 gelegt, wobei die Folie bei Approximaldefekten gleichzeitig als Matrize dient (Abb. 19–21).
Fazit
Die elegante und überzeugende Methodik nach Müller und Tischer kann sicherlich sogar eingefleischte Kofferdamgegner bekehren, auch wenn anfangs eine Lernphase bis zur reibungslosen Integration in den Praxisalltag unvermeidbar ist. Weiterhin ist der Erfolg der Methode eng mit der Verwendung der empfohlenen Materialien und Instrumente verknüpft.
Zu Ihrem Konzept haben Müller und Tischer eine CD mit dem Titel "Kofferdam in 100 Sekunden" herausgebracht, die seit Oktober für 98 Euro im Handel erhältlich ist. Die Technik kann auch in halbtätigen Arbeitskursen von Müller und Tischer eingeübt werden. Informationen zur CD sowie zu den stattfindenden Kurstermine unter http://www.rubberdam-in-seconds.com/de/
Weiterer Beitrag zum Thema Kofferdam unter www.zp-aktuell.de/produktvergleiche/story/kofferdam-last-oder-lust.html
Einen Produktvergleich gibts unter http://www.dentalkompakt-online.de/43_produktliste.html
Näheres zum Autor des Fachbeitrages:Dr. Wolfgang Innmann
Bilder soweit nicht anders deklariert:Dr. Wolfgang Innmann